SPD sortiert sich
„Mein Bauch sagt: Es gibt keine GroKo“
Von Christian Rothenberg, Berlin
Nach schwierigen Wochen rütteln sich Martin Schulz und die SPD auf ihrem Parteitag zurecht.
Nach schwierigen Wochen rütteln sich Martin Schulz und die SPD auf ihrem Parteitag zurecht.
Große Koalition und Erneuerung: Kann beides gleichzeitig funktionieren? Auf dem Parteitag beschäftigt sich die SPD mit Zukunft und Vergangenheit. Einer kommt dabei gar nicht gut weg: Ex-Parteichef Gabriel.
Martin Schulz ist einfach nur erleichtert, das ist ihm am Freitag in jedem Interview anzumerken. Am zweiten Tag des Parteitags kann der SPD-Chef es mal etwas ruhiger angehen lassen. Im Mittelpunkt stehen ausnahmsweise mal andere. Schulz wird damit ganz gut leben können. Hinter ihm liegen turbulente Tage. Das Jamaika-Aus traf die SPD unvorbereitet. Die Sozialdemokraten rechneten fest damit, dass Union, Grüne und FDP sich einigen – aber die Gespräche scheiterten und alle schauten plötzlich wieder zur SPD. Schulz erneuerte zunächst die Absage an eine neue Große Koalition und signalisierte dann doch Gesprächsbereitschaft. Die SPD wirkte überfordert. Auf ihrem Parteitag können sich die Genossen und vor allem der zuletzt angespannte Vorsitzende zumindest ein wenig sortieren.
Schulz wird mit knapp 82 Prozent wiedergewählt. Auf den ersten Blick ein mäßiges Ergebnis, im Kontext ist es vielleicht doch etwas besser. Für die aktuelle Situation sei das gut, heißt es am Tag danach. „Ich hatte was Schlimmeres erwartet“, sagen nicht wenige Delegierte. Einer erklärt: „Lieber so ein Ergebnis als 100 Prozent.“ Matthias Miersch stärkt Schulz demonstrativ den Rücken. „Er ist durch und durch glaubwürdig und authentisch. Der Rückhalt war immer da“, sagt der Sprecher der Parteilinken n-tv.de. Abgewatscht werden beim Parteitag andere, wie zum Beispiel Olaf Scholz. Der SPD-Vize erhält 59 Prozent. Viele fanden sein Verhalten gegenüber Schulz zuletzt unkollegial.
SPD auf GroKo-Kurs
Bouffier kritisiert „Forderungen im Minutentakt“
Erst das Land, dann die Partei?
Ein Thema hat es beim Parteitag etwas schwer. Eigentlich wollte sich die SPD mit ihrer Erneuerung beschäftigen. Nun muss sie sich plötzlich damit auseinandersetzen, ob sie doch zum Regieren bereit ist. Beides gleichzeitig geht nicht, das sagen die fundamentalen GroKo-Kritiker. Andere widersprechen, wie zum Beispiel Johannes Kahrs. „Aufbruch und Umbruch, Deutschland regieren und die SPD erneuern. Das eine tun, ohne das andere zu lassen“, das sagt der Sprecher der SPD-Konservativen. Seit die Jamaika-Verhandlungen geplatzt sind, vergeht kaum ein Tag, an dem Kahrs nicht öffentlich die roten Linien nennt. Nicht wenige in der Partei sind davon schwer genervt. Erst das Land, dann die Partei – hat Willy Brandt mal gesagt. Zählt der Satz noch? Sogar in der SPD können ihn zurzeit viele nicht mehr hören.
Einer, der das Projekt Neustart von nun an betreuen soll, ist Lars Klingbeil. Der neue Generalsekretär ist eines der wenigen Beispiele für die personelle Erneuerung der SPD. Aber sein Start verläuft holprig. Bei seiner Wahl erhält Klingbeil lediglich 70,6 Prozent. Viele Frauen in der Partei hätten lieber eine weibliche Generalsekretärin gehabt. Viele Linke sind enttäuscht, dass es ein Seeheimer wurde. Andere kritisieren seine angebliche Nähe zur Bundeswehr. „Mehr Rückendeckung für ihn wäre gut gewesen“, sagt ein Delegierter. Vor Klingbeil liegt viel Arbeit. Er muss den Erneuerungsprozess organisieren und gleichzeitig dafür sorgen, dass die Partei für alle Spontanitäten – Regierungsbeteiligung oder Neuwahlen – besser vorbereitet ist als in der Vergangenheit. Wie der inhaltliche Weg aussehen soll, ist auch noch nicht ganz klar. Schulz will die SPD wieder stärker proeuropäisch ausrichten. In der Partei stößt dies auf ein geteiltes Echo. „Die Vereinigten Staaten von Europa ist zwar utopisch, aber das ist groß und visionär“, sagt ein Redner. Andere zweifeln, ob das Thema in Zeiten der AfD so mobilisierungsfähig ist.
Martin Schulz im n-tv Interview
„Neue Große Koalition ist nicht in Stein gemeißelt“
Fast überschwänglich loben viele Delegierte die faire Diskussion über die Aufnahme von Gesprächen mit der Union. Dies sei bis vor Kurzem eben nicht so selbstverständlich gewesen. Misstrauen und Angst, diese Worte fallen immer wieder. Der Donnerstag geriet auch zur Abrechnung mit dem ehemaligen Parteichef Sigmar Gabriel. Misstrauen und fehlende Debattenkultur reichten in die Ära Gabriel zurück, sagt ein SPD-Bundestagsabgeordneter hinter vorgehaltener Hand. Auch Schulz schont Gabriel nicht. In seiner Rede am Donnerstag kritisierte er mutlose Entscheidungen, schlechte Formelkompromisse, Profillosigkeit. Es ist schwer, das nicht mit Gabriels autoritärem Führungsstil in Verbindung zu bringen.
„Wir brauchen einen vermittelnden Weg“
Schulz ist erst ein halbes Jahr Parteichef, Gabriel kommt auf stolze sieben Jahre. Die Kanzlerkandidatur und der Wahlkampf ließen ihm zuletzt kaum Zeit, die SPD entscheidend zu prägen. In gewisser Hinsicht fängt seine Ära erst jetzt so richtig an. Als die Jusos sich am Donnerstag über eine angebliche Stallorder beklagen, ist Schulz sichtlich empört. „Die Zeiten, in denen ein Parteivorsitzender hier Stallordern ausgegeben hat, die sind vorbei“, ruft er in die Halle. Der Parteitag bietet Schulz eine gute Gelegenheit, zu zeigen, was er anders machen will. Er nahm mehrere Änderungen in den Leitantrag auf und machte den GroKo-Skeptikern symbolische Zugeständnisse. Die Juso-Forderung nach einem strikten GroKo-Ausschluss scheiterte, was der Parteinachwuchs überraschend gelassen aufnahm. Schulz habe uneingeschränkten Rückhalt, das hört man auch von den Jusos. Die sind fest überzeugt: Nach dem Parteitag ist die SPD weiter von einer GroKo entfernt als vorher.
Aber sind die Gespräche mit der Union wirklich so offen und Optionen wie eine Minderheitsregierung realisierbar? Die Mehrheit der Delegierten ist davon jedenfalls fest überzeugt. „Mein Bauch sagt: Es gibt keine GroKo. Merkel und Seehofer sind nicht mehr stark genug, der SPD ausreichend entgegenzukommen“, sagt Martin Börschel, Vizefraktionschef im NRW-Landtag. Der SPD-Linke Miersch plädiert für ein Kooperationsmodell. Mit fünf bis zehn Kernprojekten, einem gemeinsamen Haushalt und Kabinett. „Ich glaube nicht, dass man sich auf das starre Gerüst einer Koalition einigen sollte. Wir brauchen einen vermittelnden Weg, den alle mittragen können und der nicht so polarisiert.“
In der kommenden Woche treffen sich Schulz und Fraktionschefin Andrea Nahles mit der Führung von CDU und CSU zu einem ersten Gespräch. Die richtigen Sondierungen sollen jedoch erst im Januar beginnen. Erstmal in Ruhe Weihnachten feiern, 2018 geht es dann weiter. Um die große Entscheidung kommt die SPD zunächst herum. Aber in einigen Wochen wird sie sich auf einem weiteren Parteitag dann auf einen konkreten Kurs festlegen müssen. „Egal, was wir machen, es wird einen Teil der Mitglieder geben, der das ablehnt“, sagt Börschel. „Umso wichtiger ist es, dass wir nicht in irgendetwas hineinschlittern, sondern bewusst entscheiden.“
Quelle: n-tv.de